Das kultursensible „Management“ von Erwartungen an die Schulkantine und ein professioneller Umgang mit der Vielfalt religiös beziehungsweise kulturell geprägter Grundannahmen im Hinblick auf Ernährung sind dabei ebenso von Bedeutung wie das Wissen über Kultur und Religion sowie die Sensibilisierung für eine interkulturelle Kompetenz.

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Interkulturalität
„Essen verbindet die Menschen!“
Interkulturalität in der Ernährung
Essen ist mehr als Nahrungsaufnahme – es ist lebens- wichtig. Ob zu viel oder zu wenig, einseitig oder vielseitig – Essen beeinflusst die körperliche und geistige Entwicklung, weshalb Ernährung ein besonders wichtiges Thema für Kinder und Jugendliche und damit auch in der Ganztagsschule ist. Menschen essen in aller Welt, doch das, was sie essen und wie sie es essen, unterscheidet sich.
Essen ist immer auch Ausdruck eines Lebens- und Weltverständnisses. Ernährungsmodelle gewinnen unter anderem deshalb in unserer Gesellschaft immer mehr auch die Bedeutung von einem „Glaubensersatz“ und sind Teil moralischer Überzeugungen beziehungsweise von Wertekonstruktionen.
Weltweit finden sich seit jeher spezifische Formen der Ernährung und Vorstellungen hierzu. Neben der instinktiven und für das Überleben wichtigen Handlung der Nahrungsaufnahme selbst kommt ihr auch als Bestandteil der Kultur eine zentrale Rolle zu. Sie ist gesellschaftlich normiert (dazu zählen beispielsweise Tischmanieren, Tischkultur, Rhythmus und Form von Mahlzeiten), in Traditionen, Handlungen, Ritualen und Deutungen der Menschen und Gesellschaften verankert und von Land zu Land unterschiedlich.
Das Essverhalten wird primär durch Emotionen, Werte und Erfahrungen beeinflusst und ist dementsprechend in Traditionen, Handlungen, Riten und Deutungen der Menschen und Gesellschaften aller Kulturen verankert. Damit übernimmt die Ernährung eine zentrale Rolle für die Beziehungen in einer Gemeinschaft. Essen verbindet die Menschen!
Verfügbarkeit und Qualität des Essens spiegelt auch Wohlstand oder Armut. Im Hinblick auf die soziale Gerechtigkeit ist sie deshalb ein bedeutsames Thema unserer Gesellschaft. Die gleichberechtigte Teilhabe aller an gesunder Ernährung zu sichern ist daher ein zentrales Anliegen der Ganztagsschule.
Die Bedeutung der Ernährung ist Bestandteil aller Religionen und deren Wertesysteme. Lebensmitteln kann eine religiöse Bedeutung zugeschrieben werden (Messwein, Oblate), das Nicht-Essen (Fasten) zu einer spirituellen Übung werden, eine bestimmte Handlung etwas essbar machen (Schächten). Religiöse Feiertage sind mit besonderen Speisen verbunden (Martinsgans, Mazze, Aschura). Essen ist kein banales Thema, bei dem es nur ums Sattwerden geht!
Eine gesunde Ernährung spielt für das Gelingen des Ganztags eine wichtige Rolle, da ein Großteil des Tages der Schülerinnen und Schüler in der Schule stattfindet. Dabei ist die Schülerschaft ein Spiegel der Gesellschaft, in dem sich die Vielfalt an Lebensgestaltungskonzepten, (Migrations-)biographien und die Heterogenität von ethnischer und religiöser Zugehörigkeit zeigt.
Der gesellschaftliche Wandel und die Veränderungen hin zu einer diversen Migrationsgesellschaft machen eine Umgestaltung in verschiedenen Bereichen notwendig. Versorgungsstrukturen wie die Schulküche sind vor die Herausforderung gestellt, ein ansprechendes Angebot zu entwickeln. Dieses soll sich nicht nur an den Empfehlungen der DGE-Qualitätsstandards für die Verpflegung in Schulen orientieren, sondern auch nachhaltig und akzeptiert sein.
Ein kultursensibler Umgang mit der Vielfalt an kulturellen Prägungen der Schülerinnen und Schüler sowie ihrer Eltern ermöglicht ein gutes Miteinander in der Ganztagsverpflegung und ermöglicht einen bunten Speisezettel. Anregungen für ein nachhaltiges und interkulturelles Verpflegungsangebot, zum Beispiel durch den Einsatz von Hülsenfrüchten, erhalten Sie nachfolgend.
interkulturelle Kompetenz
Warum interkulturelle Kompetenz in der Schulküche?
Wo Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Prägungen zusammenkommen, ist die Antwort auf die Frage: „Was ist normal?“ nicht einfach. Warum sind einige Lebensmittel tabu? Was wird gegessen und was nicht? Gibt es Verhaltensregeln beim Essen?
Was für jemanden als selbstverständlich gilt, kann bei anderen Personen Unverständnis auslösen. In diesen kulturellen Überschneidungssituationen müssen Aushandlungsprozesse stattfinden und zur beiderseitigen Zufriedenheit Lösungen gefunden werden.
Kultur ist aber mehr als „typisch deutsch“ und „typisch türkisch“ deklarierte Dinge, die eher Vorurteile und Stereotypisierung darstellen. In der Gesellschaft gibt es verschiedene ethnische, religiöse und kulturell diverse Bevölkerungsanteile. Die Lebenswelten und Wertvorstellungen beispielsweise muslimisch geprägter Familien sind ebenso heterogen beziehungsweise homogen wie bei anderen Migrantengruppen. Zudem gibt es auch nicht religiöse Muslime, Juden und Christen. Die Essenvorschriften können deshalb unterschiedlich ausgelebt werden.
Und letztlich hat jeder Mensch eine spezifische Prägung und ein Wertesystem primär aus dem familiären Umfeld mitbekommen. Das eigene Weltbild wird hierbei als Normalität angesehen und andere davon abweichende Verhaltensweisen und Annahmen erst einmal als „fremd“ wahrgenommen. Zeitlebens lernen wir dazu und durch die Begegnung mit Neuem entwickeln wir unsere Persönlichkeit weiter.
Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, das Thema der interkulturellen Öffnung beziehungsweise interkulturellen Kompetenz im Ganztag zu fokussieren. Die Schulverpflegung ist ein wichtiger Baustein im Schulalltag und gerade hier bieten sich viele Möglichkeiten, gleichzeitig jedoch auch Konfliktpotenziale.
Interkulturelle Konflikte
Aufgrund divergierender Vorstellungen zum Thema Essen/Lebensmittel und kultureller Prägungen aus der Familie kann es zu Konfliktsituationen im Schulalltag kommen. Unterschiedliche Erwartungen, Standards, etablierte Abläufe der „Schulkultur“ kollidieren mit den Vorstellungen der Familien. Unsicherheit auf beiden Seiten und fehlende Kommunikation führen zu weiteren Missverständnissen. Die Ablehnung von bestimmten Lebensmitteln oder ihrer Zubereitungsform, Nahrungsverweigerung und Konflikte mit besorgten Eltern können hieraus entstehen.
Hier gilt es, professionell zu handeln und zu kommunizieren: Interkulturelle Kompetenz ist die Befähigung zu einem guten Umgang in diesen schwierigen Situationen; sie kann gezielt angebahnt und entwickelt werden!
Interkulturelle Kompetenz ist eine Haltung
Interkulturelle Kompetenz ist ein wirksames Instrument in dem von Diversität und Pluralität geprägten Raum der Ganztagsschule. Eine interkulturelle beziehungsweise interreligiöse Sensibilisierung der professionellen Berufsgruppen vor Ort ist notwendig, um unter anderem auch den individuellen, kulturellen beziehungsweise religiösen Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler adäquat begegnen zu können, aber auch um das Essensangebot vielfältiger zu gestalten.
Wahrnehmung, Wertschätzung und Akzeptanz sind Bestandteile dieser interkulturellen Haltung mit dem Ziel, eine vertrauensvolle Beziehung zwischen „Schule“ und Schülerschaft, aber auch zum Elternhaus zu fördern. Die Interaktion der professionellen Ansprechpartner in der Schule (Mensaorganisation, Köche, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter sowie Lehrerschaft) wird kultursensibel, empathisch und wirkungsvoll, wenn eine persönliche Haltung erarbeitet wird.
Denn interkulturelle Kompetenz stellt eine Summe aus individuellen und professionellen Kompetenzen dar, die zum einen die Überwindung der eigenen Fremdheitsgefühle und eine Bewusstwerdung der eigenen kulturellen Prägungen erfordern. Zum anderen umfasst sie die Fähigkeit, einen Raum der Offenheit, Achtung, Anerkennung, Wertschätzung und Neugierde zu schaffen, die zu einer guten Kommunikation und Vertrauensbeziehung führt.
Interkulturelle Kompetenz am Beispiel Islam
Bestimmten Kategorisierungen und Bewertungen zu folgen bedeutet für viele Menschen, authentisch als Gläubige zu handeln. Den Ver- und Geboten zu folgen heißt für sie, gottesdienstlich zu handeln. Auf das Beispiel von Muslimen angewendet legt die interkulturelle Kompetenz, im Folgenden sehr vereinfacht, folgendes Vorgehen nahe:
Jeder Mensch wird primär in seiner Kindheit durch sein Umfeld geprägt. Darum ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass jeder eine eigene Kultur und damit differente Vorstellungen hat.
Normen, Werte, Denkmuster basieren vielfach auf religiösen Grundannahmen und sind in die Lebenswirklichkeit der Menschen aufgenommen. So werden sie als „normal“ oder „selbstverständlich“ gelebt. Ganz unbewusst bestimmen sie Wertungen und Handlungsweisen.
Beispielweise ist es in Einrichtungen oft die Regel, dass freitags Fisch angeboten wird, was aus der christlichen Tradition stammt. Genauso gibt es Regeln, an die sich Muslime halten wollen, weil diese Teil ihrer Lebensweise sind. Eine Reflexion der eigenen Kultur und der Herkunft von Handlungsweisen ist demnach wichtig, um respektvoll mit kultureller Diversität umgehen zu können!
Islamische Essensgebote können aus der Religion resultieren und werden als verbindlich für alle Muslime angesehen. Religiös und für alle Muslime bindend sind die Verbote und Gebote aus dem Koran (heiliges Buch der Muslime). Verboten sind beispielsweise Schweinefleisch, Alkohol, Blut.
Ein Gebot ist es, „Reines“ (arab. halal) und „Gutes“ (arab. tayyib) zu essen – zum Beispiel das Schächten von Säugetieren (beispielsweise Rind, Schaf, Ziegen) in einer bestimmten Art, nichts zu konsumieren, was schädlich für den Körper ist. Dies bezieht sich aber auch auf die Art und Weise der Erwirtschaftung und des Umgangs mit den Ressourcen (ethischer Kontext). So gilt es, nichts zu verschwenden, sparsam zu sein und mit Bedürftigen zu teilen.
Grundsatz ist, dass alles, was religiös nicht verboten (arab. haram) ist, zunächst als erlaubt gilt. Auch spielen kulturelle Faktoren oder die Zugehörigkeit zu einer bestimmten religiösen Richtung eine Rolle, sodass die Ablehnung von bestimmten Lebensmitteln, zum Beispiel von Muscheln und Krustentieren, sich nicht auf ein Verbot zurückführen lässt, aber von einem Teil der Muslime dennoch vertreten wird.
Die Art und Weise, wie Geflügel oder Vieh geschlachtet wird, kann ebenfalls als problematisch beziehungsweise haram betitelt werden – entsprechend finden diese Lebensmittel dann gegebenenfalls auch in der Schulverpflegung keine Akzeptanz.
Praxistipps
Was? | Wie? |
---|---|
Bedürfnisse feststellen | Diversität und Pluralität der Schülerschaft in der Ganztagsschule wahrnehmen |
Kommunikation mit Eltern zu deren Erwartungen an das Essen vor Ort | Transparenz und wertschätzende Kommunikation |
Offenheit für neue Konzepte in der eigenen Einrichtung fördern | Ein Lebensmittelbezug über Geschäfte, die auf halal in der Fleischproduktion achten, wäre denkbar. |
Spezifische Bedarfe klären | Wie können die bearbeitet und berücksichtigt werden? Wer kann helfen? Kontakt zu Gemeinden, Eltern und weiteren Ansprechpersonen schaffen; Familien können zum Teil auch Ansprechpersonen werden bei Fragen und unterstützen bei der Umsetzung von interkulturellen Konzepten. |
Interkulturellen Essensplan gestalten | Klare Kennzeichnung, zum Beispiel ein Kärtchen mit dem Symbol der Tierart oder die Tierart in Form eines Piktogramms im Speisenplan, wäre hilfreich. |
Vegetarische Ernährung als Konsens | Hierdurch sind die Grundsätze der Weltreligionen vereinbar – anstelle von Fleisch können Hülsenfrüchte eingesetzt werden, die nicht nur in der interkulturellen Küche Platz finden, sondern auch eine wertvolle Proteinquelle darstellen. |
Fazit
Am Thema Essen kann eine Kultur des Verständnisses zwischen den Menschen sowie eine kultursensible Ernährungsbildung gefördert werden. Vorurteile abzubauen und die Akzeptanz für kulturelle Unterschiede zu fördern kann in der Ganztagsverpflegung gelingen. Die Offenheit für neue Ideen aus anderen Küchen und die Bereitschaft zu kreativer Zusammenarbeit macht dies möglich.
Fachliche Expertise

Fachinformation
Interkulturalität
Gülbahar Erdem
Referentin für interkulturelle Kompetenz und interreligiösen Dialog Islamwissenschaftlerin, Theologin und Bildungsreferentin (M.A. phil.)